Wenn man einen Moment nicht aufpaßt.
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Ich war ziemlich runter damals. Damals, als ich ihn traf. Ständig umklammerte meine bebende Rechte das Fläschchen mit dem Riechsalz, die Linke tupfte unablässig mit einem großen karierten Taschentuch die Stirn trocken und erstaunlicherweise kratzte eine dritte Hand meinem Hinterkopf blutig.
Es war höchste Zeit, die Ernährung umzustellen. Höchste Zeit, irgend etwas zu tun. Oder anderes zu lassen.
Ich war nun schon eine Stunde durch das Village geirrt, die eisige Kälte meiner Mansarde fliehend. Hatte mich schwergetan; hatte nachgedacht:
Beruflich steckte ich in einer Sackgasse. Alles hatte ich ausprobiert: Schuftete nach meinem Studium als Brombeermarmelade-Tester auf den Feldern Usbekistans, designte offene Gummistiefel für einen kalten Mobiltelefon-Konzern und versagte königlich als Fänger in der gemischten Äquilibristengruppe The Flying Inuit im Staatscircus von Reykjavik.
Ich wußte nicht weiter und spielte mit der Idee, mit einer Überdosis DSDS Schluß zu machen. Sobald ich einen Fernseher besaß.
Doch dann er; wie er da saß, in seinem mottenzerfressenen Bärenfell, zärtlich eine überfahrene Katze streichelnd. Dieser majestätische, hochfahrende Blick, dieses Irre in seinen verschwiemelten Äuglein. All die Fliegen – ah! Dieser Geruch, seine Wildheit, das gefährliche Knurren, sekundenschnell wechselnd mit kreischendem Gekicher.
Ich blieb stehen.
Widerwillen auf den ersten Blick. Aber Faszination; ja die auch.
Er war so rätselhaft: Warum lachte er so verschmitzt? Und worüber? War das Diamantendiadem in seinen verfilzten Haaren echt? Und warum heißt es eigentlich verschmitzt und nicht verschulzt oder vermeiert? Werden wir die Rätsel der Sprache alle lösen können? Und wenn ja, interessiert das überhaupt ein Schwein?
Eine schreckliche Kakophonie riß mich aus meinen Grübeleien: Er grunzte; nein – er quillbillerte mich an. Erinnert sich noch jemand an die Szene aus „Der Exorzist“, in der das besessene Kind mit mehreren Stimmen gleichzeitig spricht? So eine Stimme.
Mich schauderte, mir war kalt. Und er: Er bettelte, er flehte, er grimassierte und er schmeichelte. Seine öligen Hände griffen nach meinen Hosenbeinen, er zog sich an mir hoch, biß in meine Schenkel. Er roch, er schmatzte, liebkoste die Luft mit fauligem Odem. Die tote Katze fiel unbeachtet in eine trübe Pfütze.
Wie geschah mir? Was sollte ich tun?
Mein Shetland-Pony war in dieser Woche bei einer Marien-Prozession unter die Räder gekommen und ich war trotz meiner eigenen jämmerlichen Situation milde gestimmt, was Werden und Vergehen betraf.
So nahm ich ihn mit.
Ihn, den unbekannten Taugenichts, nahm ihn mit in mein schorfiges Heim, päppelte ihn wieder hoch, gab ihm Griesbrei, wärmte ihn mit meinem ausgezehrten Körper, las ihm vor, badete und kleidete ihn und ließ ihn Nacht und Tag auf meinem Feldbett schlafen.
Bei mir begriff er, was Messer und Gabel bedeuten, er begann sich zu rasieren und ich gab die Hoffnung nicht auf, daß er das eines Tages auch in seinem Gesicht tun würde.
Auch lehrte ich ihn das, was wir Sprache nennen, verständigte er sich doch, als wir uns trafen, nur durch Bisse in Schultern und Stirn seines Gegenübers und einen gelegentlichen Hieb auf dessen Ohren.
Ich habe wirklich alles für ihn getan. Wirklich, mehr kann man nicht tun.
Und er dankte es mir. Dieser gute, alte Er. Blies ich wieder mal ins Horn der Trübness – er munterte mich immer wieder auf. Mal brachte er mir ein zerfetztes Sofapolster mit, ein anderes Mal zeigte er mir ein Glas mit Hornissen. Als er den Deckel direkt unter meiner Nase öffnete, kreischte er herzerfrischend, als ich panisch unter die Spüle tauchte. Ihm selbst schienen diese Biester nichts anzuhaben. Er klaubte sie einfach aus der Luft und verzehrte sie schmatzend, schlürfend, rülpsend.
So ein Lieber!
Wir erzählten uns soviel. Ich berichtete ihm, wie ich vor Jahren auf einer Ölplattform in der Barentsee ein begnadeter Meister der Telepathie wurde; wie ich nach intensivem Training schon bald in der Lage war, die Gedanken meines Gurus auf zwei Meter Entfernung zu erkennen. Besonders gut gelang mir das, wenn ich des Meisters Lippen sah, pflegte er diese doch beim Denken zu bewegen.
Ohrenbohrend und verständnislos sah er mich an, beinebaumelnd auf meinem Bett, nackt, stinkend, unschuldig an sich herumspielend.
Jetzt wohnte er schon einige Wochen bei mir und wurde mit den Errungenschaften der Zivilisation vertrauter. Besonders faszinierte ihn mein Computer. Und hier das Internet. Aktienkurse hatten es ihm angetan. Wertpapiere, Fonds, Immobilien.
Durch einen raffinierten Dreh mit Insiderinformationen wurde er in einer freundlichen Übernahme Mehrteilseigner der Elbendorf AG. Unsere Sorgen sind gewesen, versicherte er mir grinsend, nachdem er mir meinen letzten Zwanziger abgeschwatzt hatte.
Routine machte sich breit: täglich entließ er Tausende Mitarbeiter, kürzte Löhne, kaufte Konzerne auf und drückte seine Konkurrenten brutal vom Markt. Er wurde stinkendreich.
Das heißt, er wäre es um ein Haar geworden, wenn er nicht so grundanständig gewesen wäre. Und faul, verfressen und verschlafen. Morgen ist auch noch ein Tag, grunzte er, drehte sich um und schlief furzend wieder ein.
Ach, dieser Schlingel!
Ja, es war eine wilde Zeit, eine gute Zeit. Und ich möchte keine Sekunde missen, auch wenn er eines Abends mitsamt dem Rest meiner zusammengeschmolzenen Barschaft verschwand. Dieser undankbare Narr, süßer, irrer Schmutzpöker, der!
Alles, was er hatte, verdankte er doch mir!
Ich erwachte neben dem kleinen Kanonenofen, den er mir zum Abschied freundschaftlich über den Schädel gezogen hatte; direkt unter der Tür. Es war ruhig, das Zimmer absolut leergeräumt, nur eine einsame Hornisse summte und brummte immer wieder gegen die Fensterscheibe.
Ich lachte und lachte; dann weinte ich ein bißchen. Danach schrie ich eine halbe Stunde oder zwei. Schließlich zog ich meine Hosen hoch und stolperte die Stiegen vor meiner Mansarde hinunter. Ich wollte raus, wollte an die Luft, wollte mir alles noch mal durch den Kopf gehen lassen.
Ach! Der Frühling war da, Spatzen torkelten durch den Kot der Straßenhunde, Katzen schmiegten sich zufrieden an sonnigen Stein; Menschen mit falben Gesichtern arbeiteten sich am ersten Outdoor-Kaffee ab.
In der Ferne hörte ich den Platz-Kreisch röhren, ein junger struppiger Kerl tanzte an mir vorüber und bettelte die Passanten so leise an, daß sie Fliegen-Wegscheuch-Bewegungen machten und ich wußte: Solange du hier bist, wirst du immer einen finden. Einen wie ihn.
am 19.05.2008 um 11:39 Uhr
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Großes Gefühlskino, Herr Gandorff. Ganz großes! Wat ‘ne Kiezgeschichte. Oder mehr als das. Viel mehr.
Werde umgehend die “10 Regeln für den sauberen Offiziersrock” beiseite legen und nur noch Planet Gandorff lesen.
Verneige mich,
Ihr Admiral von Streuthen