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Gleich nach dem Lachsbrötchen klingelte es Sturm. Alles was ich am anderen Ende hörte, war ein rauschender Schwarm der lebendigen Mitgenossen meines Brotbelags aus dem Nordatlantik. Tief unten, aus den finsteren Löchern unentdeckter Meeresgräben, drang ihr geiferndes Geschmatze und Gekicher. Sie legten auf, völlig ohne Grund und zogen weiter, die großen Herden mit dem Fleisch so hell wie ihr Gemüt. Und ihre silbernen Schuppen strahlten und schimmerten sogar noch in unendlich vielen Kilometern in der kalten Tiefe der pechschwarzen Dunkelheit. Eine einsame Discokugel in im düsteren Rockclub. Aber das war nur ein winziger Augenblick der Evolution, der kurzer Gedanke eines Grashüpfers, der Wimpernschlag einer Amöbe.
Doch lange vorher, so unfassbar lange bewegten sich diese fließenden Herden zurück an Land wie ihre urzeitlichen Vorfahren den Weg ins Wasser wagten und sich mit Flossen, Kiemen und resistenten Kupferschuppen für das sprudelnde Nass wappneten. Verscheucht von stärkeren Rassen an Ufernähe, dem Getier aus Fröschen und Ziegen. Seit jeher deren angestammtes Gebiet, verjagten sie die Lachsherden mit lautem Getöse. Gebissen haben sie sich, geschnappt, gewürgt, geschlagen und vergiftet. Viel Blut ist damals vergossen worden. Schmerzensschreie wurden qualvoll ausgestoßen und pressten sich gewaltsam durch alle Luftschichten bis diese wie Seifenblasen zerplatzten. Schreie, die so spitz und grell waren, dass sie mehrmals den gesamten Erdball umrundkreischten, um als ewiges Echo noch heute mahnend an dieses schreckliche Gemetzel zu erinnern. Der agonische Schrei, so finster und kalt, jede Faser erzitternd, dass er selbst der tödlichen Kälte des Kosmos widerstand und sich nun durch ihn hinweg in alle Galaxien verbreitete. Ein Monument für die kosmische Unendlichkeit des Bösen und seiner Unbedingtheit seiner Kraft – dabei auf der Überholspur neben den Rasern aus Licht. Doch das ist vergangen, längst vergessen, tausende Spezien zuvor, Äonen voller Ahnen, zu Angst zerfallene Geschichte, eine schaurige Mumifizierung unserer Träume – mit nichts als Staub im Innern, aber noch immer hungrigen Käfern, Maden und Spinnen, die sich seit hunderttausend Jahren durch unsere Legenden fressen.
Für das zottelige Raumtier war das, was wir planetare Evolution nennen, nur ein nettes Schauspiel von wenigen Minuten. Es beobachtete die ganze Chose vom Hügel aus. Eine Böe umwehte seine freien Waden, es graste in kurzen Latzhosen, die Welt herum war in Pechschwarz gekleidet. Wie ein Wirbelsturm, in dessen Auge die Ruhe so bizarr und surreal zum Verschnaufen bittet, dass man alles nur als einen riesengroßen Beschiss entlarven möchte. Doch Mutter Natur und Vater Staat haben mächtig gerammelt, gestöhnt, geschrieen, abgespritzt und gezeugt, dass wir nun so viele Rätsel lösen müssen. Man könnte kotzen. Nicht aber das Raumtier. Es war fast blind und sog die Welt durch den Strohhalm seiner restlichen Sinne. Die schwach gehusteten Augen – schlimme Grippe in der Jugend – konnten nicht mehr navigieren, verliehen ihm aber die Erscheinung einer wissenden Prophetensau. Das sah nicht jeder so. „Ich“, begriff das Raumtier kurz in Gedanken versunken, „bin doch eigentlich nur das irre Ding in Latzhosen auf dem mäandernden Pfad eines faden Nebenplots.“
Es schien gelangweilt und trottete weiter, runter von der buschlosen Anhöhe und an die Tränke seiner beschaulichen Welt im Vorgarten des arbeitslosen Hufschmieds, von manch arglosen Geschöpfen Gott genannt. Plötzlich schlich sich ein Zwergwal auf leisen Flossen heran und galoppierte mit dem Schatten des Raumtieres davon. Niemand bemerkte was oder machte einen Mucks – dabei hatte es einen stattlichen Schatten erwischt Er ist bis heute verschwunden, Zeugen fanden sich keine. Wahrscheinlich hängt er nun auf einem Markt irgendwo in Mumbai, zwischen zwei Ständen gelbäugiger Halbnackter. Das große Sein, der demente Überbau und das morsche Gebälk allen Werdens, war mächtig verärgert über diese Ungerechtigkeit und schleuderte Donner, Hagel und Groll in Silbermetallic auf sein kleines Lieblingsuniversum.
Ein Komet verirrte sich ins Fell des Raumtieres und entzündete es sofort. Für einen Augenblick erleuchtete die Stichflamme in allen Farben, die jedem Prisma bekannt sein dürften. Umhüllt von einer Wolke aus Nuancen und diamantenen Gesängen, die als Vorboten des Himmels kaum süßer hätten klingen können. Doch mit einem sanften xylophonischen Paukenschlag war der Farbenzaubertraum schon wieder vorbei und das Raumtier stapfte gemächlich weiter. Es ließ noch einen sauren Furz, doch niemand interessierte sich mehr dafür. Jede Welt, jeder Raum, jede Dimension, jedes Sein hatte sich ein Stück voran bewegt, das ewige Zeitraumgetriebe sprang einen Zahn weiter in die nächste Lücke. Ich schlief ein.
Wieder läutete der Apparat. Diesmal jedoch war kein einziger Lachs im Meer, sondern ich. Was ging dort vor sich? Elfengleich führten mich trächtige Delphinkühe in tiefere, dunklere, unbekanntere Gräben, Höhlen und Löcher, die sich quer durch den Erdball zogen und mich am anderen Ende in einen seichten Marmeladentümpel geleiteten. Ich hechtete mit Mühe an Land und fingerte eingekochte Erdbeeren aus dem Haar. Mühe verabschiedete sich und herrlicher Sonnenschein begrüßte mich. Eine knochige Eiche wuchs zu mir aus dem Himmel herab. Ich stieg auf und kletterte nach oben in ein grelles Licht. Je höher ich kam und die mächtigen Äste erklomm, desto grüner wurde das Strahlen. Man hörte Quaken und Quietschen, sich zu einem filzigen Tonknäuel ballend. Dann war ich oben. Ein tiefer Seufzer ergoss sich durch den Raum und signalisierte mein Kommen.
Weiter hinten sah ich sie schon wieder sitzen und kichern, die Lachsschwärme. Hier hatten sie sich also hin verkrochen. Erzählten sich Ostfriesenwitze und amüsierten sich offenbar köstlich über die Dummheit anderer. Es wurde Waldmeisterlimonade gereicht und alle labten sich an ihr in großen Zügen aus behaarten Strohhalmen. Zum Glück waren sie blond, Brause aus brünetten soll ja ganz fürchterlich schmecken. Ich schritt weiter. Schlürfen und Kichern vermengten sich mit den Schreien aus dem Nachbarzimmer der Satansanwärter zu einem babylonischen Gebrummel- und Gemurmel-Gebräms.
Der Teufel war alt geworden, und schwach und müde, dass er Ausschau hielt nach einem würdigen Nachfolger. Viele Bewerber hatten sich eingefunden – in endlosen Schlangen, die den gesamten Himmel verdunkelten und auf fremden Erden sicher für Weltraumphänomene gehalten wurden. Hier warteten alle bösen Seelen, die das große Sein seit der Pubertät schuf und schuf und schuf. Ihre zornigen Leben waren längst verwirkt. Sie hatten also Zeit und warteten schon eine halbe Ewigkeit bis nur ihr Name und die dazugehörige Nummer aufgerufen wurden. Erste Unruhen machten sich ab der Mitte bemerkbar. Hier standen sie bereits seit über zehntausend Jahren, ohne jemals eine Erfrischung oder Gebäck angeboten zu bekommen. Sie waren stinksauer, dazu diese höllische Hitze. Die toten Seelen schwitzten als ginge es um Leben oder Tod. Doch auf einmal hatte es sich Satan anders überlegt, er blies die ganze Veranstaltung ab, einfach so, Feierabend. Später gab er in einem Exklusiv-Interview zu bedenken, dass man Dinge auch beenden müsse, die man schon so lange und erfolgreich betreut hatte. Vielleicht hatte er Recht.
Ich war müde geworden, einige der Bilder überreizten meine Sinne so sehr, dass die Nervenbahnen zu flirren
begannen. Und mit jedem Notieren dieser Erinnerung wurde es schlimmer. Jetzt stießen sie schon hohe, spitze Töne aus, die zu einem ohrenbetäubenden Pfeifen anschwollen und mich wimmernd in die Knie zwangen. Kraftlos und mit tauben Ohren schleppte ich mich an den nächsten Eisstand und bestellte drei Kugeln Vanille – seit Erfindung der Zeit das einzig wirksame Mittel gegen Seelenlärm. Ich biss die Tüte unten auf, setzte an und langsam verteilte sich der kühlende Schmelz in den Gehörgängen. Einige Tropfen gingen daneben und rote Tulpen sprossen blitzartig aus dem Boden. Sie dufteten nach Bourbon. Die Nerven entnebelten sich rasch. Als Belohnung machte ich mir ein frisches Lachsbrötchen, als plötzlich das Telefon schellte…
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